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Vorwort


          Schach und Religion – Ambivalenzen

          allüberall – ein Lob der Ambiguität





           D        iese vierte  Ausstellung der Schach-und   Spiel an Bischofssitzen und in Klöstern, Glücks- und

                    Kulturstiftung G.H.S. befasst sich mit den
                                                             Wettspiel um Geld auf Märkten, pädagogisches Mittel
                                                             in der schulischen Erziehung,  professionelle Tätigkeit
                    Verbindungen von Schach und Religion.
                       Nach den ersten drei Ausstellungen, näm-
          lich Von der Krone zum Bürger 2011/2012 im Museum   für Turnierspieler, ikonografisches Mittel in Bildender
                                                             Kunst und Werbung, Metapher und Allegorie in der
          der Stadt Grafing, Machtspiele und Ambivalenzen 2014   Literatur und vieles mehr. Das Computerschach wird
          in der Münchner Schachakademie und Schach und      das Spiel sicher verändern, vielleicht liegt die Zukunft
          Poesie 2016 im B&O Hotel in Bad Aibling ist 2019 die   des Schachs sogar im immer beliebteren Schach960,
          Kreisstadt Ebersberg an der Reihe.                 jedenfalls zeigt es sich unerschöpflich und vielfältig.
            Da acht Jahrhunderte lang die Augustiner, Bene   dik-  Die Kritiker und Verächter des Schachs haben durch-
                                                                                               4
          tiner, Jesuiten und Malteser im bedeutenden Kloster   aus auch bedenkenswerte Argumente  , und unterstrei-
          Ebersberg wirkten, bot sich der Ort für das gewählte   chen damit ebenfalls die Ambivalenz des Spiels.
          Thema in besonderer Weise an.                         Mit der Religion ist es nicht anders. Sie zeigt sich in
            „Die Geschichte des Schachs ist eng mit den be-  vielfältigsten Facetten und erfährt immer wieder neue
          deutendsten religiösen Lehren und Glaubensrichtungen   Beachtung. Es erscheint nur logisch, dass das Verhältnis
          verbunden“ schreibt der bekannte russische Schach-  zwischen Schach und Religion vielen  Wandlungen
          histo  riker Isaak Linder.   Das Thema ist ein weites Feld.    unterworfen und nie eindeutig festgelegt war.
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          Um es erschöpfend zu behandeln, bedürfte es vieler    Dies wird auch deutlich in den Beiträgen im Textteil
          größerer Ausstellungen,  und so mussten  wir uns auf   dieses Katalogs. Neben zwei grundlegenden Aufsätzen
          wenige wesentliche Aspekte beschränken und manches   geht es um sechs Themen, die vor allem bestimmte
          ebenso Wichtige vernachlässigen.  2                Detailfragen betreffen.
            Der  Ausstellungskatalog erhebt wissenschaftlichen   Der Spielforscher Rainer Buland entwickelt an fünf
          Anspruch und bietet auch Experten sicherlich manch   wesentlichen Aspekten, wie „Metaphorische und mytho-
          Neues. Die Ausstellung selbst ist nicht primär an Schach-  logische Ebene: Spielen um das Seelenheil“, eine ein-
          spieler gerichtet, sondern zielt auf eine breite Öffentlich-  führende Grundlage, die das Thema breit und originell
          keit, die kunst- und kulturgeschichtlich inte ressiert  ist   auffächert.
          und Neugier und Offenheit für Ungewohntes mitbringt.   Herbert Bastian gibt anhand von Beispielen einen prä-
            In seinem vielbeachteten Buch „Die Vereindeutigung   zisen historischen Überblick über Schach und Religion
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          der Welt“ beklagt Thomas Bauer   den Verlust an Mehr-  in der gesamten Schachgeschichte.
          deutigkeit und den  Trend zu fundamentalistischem     Einen regionalen Bezug bietet Georg Schweiger mit
          Denken und stellt fest, dass die Religion gerade wegen   Informationen zum bedeutenden Adelsgeschlecht der
          ihrer  Ambiguitätstoleranz die Zeiten überdauert hat.   Falkensteiner, die enge Verbindungen zu Klöstern im
          Wir ergänzen: Auch das global verbreitete Kulturgut   oberbayerischen Raum zwischen Tegernsee und Chiem-
          Schach ist in sich ambivalent und hatte zu verschie-  see hatten und wertvolle Schachspiele besaßen.
          denen Zeiten immer großes Ambiguitätspotential.       Ein Sonderthema ist Teresa von Avila als Patronin
            Ist es Spiel, Sport, Wissenschaft oder Kunst? Schach:   der Schachspieler mit äußerst interessantem Hinter-
          Ein Statussymbol auf Burgen der Adligen, geistreiches   grund und verblüffenden Einzelheiten.

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