Page 8 - Schach und Musik GHS-Schachundkulturstiftung
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Schach und MuSik
Eröffnungsvortrag der Ausstellung am 5. November 2022
von Helmut Pfleger
„Das Schachspiel hat wie die Liebe, die Musik, Im Folgenden will ich, mit der Hilfe von glänzenden
die Fähigkeit, den Menschen glücklich zu machen. Gewährsleuten wie den schon genannten Tarrasch und
Ich habe ein leises Gefühl des Bedauerns für jeden, Prokofjew, aber auch etlichen anderen, dieser Verbun
der das Schachspiel nicht kennt, so wie ich jeden denheit nachspüren.
bedaure, der die Liebe nicht kennt.“ und gleichzeitig Internationaler Meister im Schach,
Marco Thinius, Solofagottist der Staatskapelle Weimar
D as sagte Siegbert Tarrasch, der „Lehrmeis sieht in beiden, Schach wie Musik, künstle ri sche Ele
ter Deutschlands“, um 1900 neben Emanuel
mente – „gleichzeitig findet die sportliche Seite, die
beim Turnierschach im Vordergrund steht, ihre Ent
Lasker der stärkste Schachspieler der Welt.
Er war selbst ein ausgezeichneter Klavier
Harold Schonberg, der berühmte Musikkritiker der
spieler, wie Sergei Prokofjew, der russische Kompo sprechung in der Musik.“
nist und vor zügliche Schachspieler bezeugte: „Ganz New York Times, der für diese Kritiken als Erster den
zufällig hatte ich das Vergnügen, das Klavierspiel von Pulitzerpreis erhielt, zitiert in seinem Buch Die Groß-
Doktor Tarrasch zu hören. Der präzise Rhythmus, die meister des Schach den Psychoanalytiker Reuben Fine,
klare Satzbildung und die allgemeine Ausdruckskraft Mitte des 20. Jahrhunderts einer der stärksten Schach
zeugen von der großen musikalischen Begabung des spieler der Welt.
Schachspielers.“ Fine: „Die wichtigste Gabe, die ein großer Schach
spieler haben muss, ist meiner Meinung nach eine
Doch was hat es mit dieser Verbindung von Schach reiche Phantasie. Er muss in der Lage sein, sich aus
und Musik auf sich, die uns heute zu dieser gleich der Welt aufdringlicher Realitäten in einen Bereich
namigen Ausstellung in Ebersberg zusammenführt, seltsamer Gestalten und Formen, die er miteinander
der in zweijährigen Abständen immerhin schon fünften kombiniert, zurückzuziehen, um neue, nie dagewesene
der Schach- und Kulturstiftung G. H. S. mit ihrem Gott sei Situationen zu schaffen. Und – tut nicht der Komponist
Dank unermüdlichen Spiritus rector Georg Schweiger? musikalischer Werke in gewissem Sinne das Gleiche?“
Ad multos annos, Georg! Fine zitiert hierzu den ukrainischamerikanischen Vio
lin virtuosen Mischa Elman: „Warum Schach einen sol
chen Reiz auf Musiker ausübt, liegt wohl daran, dass
Schachspielen wie Komponieren ist – zum Vergnügen,
deine eigenen Harmonien zu erschaffen, gesellt sich
die Erregung des Kampfes.“ Fine fährt fort: „Musik und
Schach – beide gehören zu dem, was das Leben le
benswert macht.“ Fast möchte man hier Loriots Frage
paraphrasieren: „Ist ein Leben ohne Schach und Musik
möglich?“ Die Antwort entsteht gerade in Ihrem Kopf.
Noch einmal Fine: „Abertausende von Schachpartien
sind aufgezeichnet und werden mit der gleichen Leiden
schaft immer wieder nachgespielt wie von Musiklieb
Partie zwischen David Oistrach (links) und Sergei Prokofjew habern Konzertaufnahmen angehört. Doch bei beiden
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