Page 9 - Schach und Musik GHS-Schachundkulturstiftung
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                                                         
          Künsten, der Musik wie dem Schach, liegt der größte Reiz   Im Mittelalter gehörten Musik und Schach zur höfi­
          im Ausüben, unabhängig davon, wie gut oder schlecht   schen  Kultur.  Der  konvertierte  spanische  Jude  Pedro
          aus Expertensicht das sein mag.“                   Alfonsi stellt in seiner Disciplina clericalis zu Beginn des
                                                             12. Jahrhunderts einen Kanon von sieben „ritterlichen
            Schonberg setzt fort: „Musik und Schach sind in vieler   Tugenden“ auf, unter ihnen explizit das Schachspiel,
          Hinsicht einander ähnlich. Die drei Teile der Schachpar­  während sich die Musik vermutlich in der siebten Tugend
          tie – Eröffnung, Mittelspiel und Endspiel – erinnern an die   „versificare“ (in Verse bringen) versteckt.
          drei Teile des Sonatensatzes – Exposition, Durchführung   Und der große spanische König  Alfons der Weise
          und Reprise. Die Kunst des Schachspiels besteht – wie   zeigt 1283 in seinem  Schach- und Spielebuch Schach­
          die der Musik – im Wesentlichen aus Entwicklung, Kom­  spieler am Brett, während neben ihnen musiziert wird.
          bination und Weiterführung. Und beide Künste erfordern   Ebenso  gibt  es  in  der  Manesseschen  Liederhand­
          von denen, die sie ausüben, völlige Hingabe. Caissa – die   schrift Anfang des 14. Jahrhunderts ein Bild des Minne­
          Göttin des Schachs – ist eine gestrenge Muse. Schach­  sängers  Otto von Brandenburg, der mit seiner Dame
          spieler widmen sich ihrem Metier ebenso intensiv wie   Schach spielt, während vor ihnen drei Bläser und ein
          Pianisten, sechs Stunden täglich oder mehr, bis zur Be­  Trommler musizieren.
          sessenheit. Sie kennen jede Seite ihrer Publikationen   Überhaupt finden sich auf mittelalterlichen Buchillu­
          so genau wie ein Pianist das  Wohltemperierte Klavier   stra tionen häufig Ritter, die mit der einen Hand einen
          oder Chopins Etudes. Genauso wie ein hervorragender   Schachzug ausführen und mit der anderen die Laute
          Musiker das gesamte Standardrepertoire auswendig   schlagen.
          spielen kann, so hat ein erstklassiger Schachspieler die   Schach und Musik gehörten – fast als conditio sine
          moderne Eröffnungstheorie im Kopf.“                qua non – zum Kulturkanon der gehobenen Stände des
            Alles  freilich  laut  Schonberg  mit einer  Einschrän­  Mittelalters.
          kung: „Wie Musiker, so haben auch Schachspieler ein
          ungewöhnlich gutes Gedächtnis – auf ihrem Spezialge­  Philidor
          biet. Auf anderweitige Themen scheint sich diese Erin­
          nerungsgabe nicht zu erstrecken.“ Au contraire!             och machen wir einen Sprung in die Neu­
            Sie  sollten  dazu  die  Frau  des  belgisch­amerikani­   zeit, in der bei unserem Thema niemand an
          schen  Blindschach­  und  Gedächtniskünstlers  George       Philidor vorbeikommt, genauer an François-
          Koltanowski  klagen  hören, der  einfachste Besorgun­ D André Danican Philidor (1725–1796), dem
          gen durcheinanderbrachte und sofort wieder vergaß.  Susanne Poldauf in ihrem Buch Philidor – Eine einzigarti-
                                                             ge Verbindung von Schach und Musik ein Denkmal setzte.
          Frühe Kunde
          von Schach und Musik                                 „Philidor ist der größte Schachspieler aller Zeiten. Er
                                                             war mit seiner Schachauffassung seiner Zeit 70 Jahre
                   och seit wann haben wir Kunde von der Ver­  voraus“, schreibt dort der dänische Großmeister Bent
                   bindung von Schach und Musik?             Larsen, der in seiner Hochzeit der stärkste westliche
                     Das erste Zeugnis dürfte vom arabischen   Schachspieler neben Bobby Fischer und wie dieser eine
         D Sänger und Schachspieler  Ziriab (789–857)        Bedrohung für die Sowjets war.
          stammen, der schon am Hofe Harun al­Raschids Ruhm    Im Gegensatz zur Musik wurde Philidor freilich das
          erlangte und das Schachspiel 821 nach Córdoba in Andalu­  Schachtalent nicht in die Wiege gelegt: Er wurde in eine
          sien und damit nach Europa brachte, von wo es sich wei­  Musikerdynastie hineingeboren und sollte auch selbst
          ter ausbreite te und auch unsere Gefilde erreichte, nach­  einer der führenden Komponisten seiner Zeit werden.
          dem es um das Jahr 500 herum wohl in Indien erfunden    Im Alter von zwölf Jahren schrieb er bereits drei Mo­
          worden war und dann nach Persien und Arabien kam.  tetten, für die ihn der König mit fünf Goldmünzen be­
                                                             lohnte. Doch damals zeigte sich auch schon seine große

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